Nachruf für treue Begleiter

  02.05.2024 Kolumnen, Romanshorn, Salmsach, Uttwil

Das Leben besteht aus ständigem Wandel, aus sich vertraut machen, begleiten, Abschiednehmen und sich trennen. Zu ständigen Begleitern und Vertrauten entwickelten sich bei mir Bücher. Aus meiner schon recht weit zurück liegenden Kindheit erinnere ich mich an ein einziges Buch im Haus, ein Buch mit Legenden von Heiligen.

Durch die Schulbibliothek eröffnete sich mir eine Welt über den Dorfrand hinaus. Mit viel Geschichtenerzählen, «Versliaufsagen» und Singen genoss ich später als junges Mami die Zeit mit den Kindern. Damals wusste man nichts von Krippen, Hort, Tageseltern und Mittagstisch. Wenn die Kinder schliefen, kam für mich die Zeit, um mir mit Büchern die Welt ins Haus zu holen. Andere Medien wurden erfunden, aber die Bücher behaupteten sich beharrlich daneben – oder wurden weggegeben. Alte Telefonkabinen und Bahnwärterhäuschen wurden umfunktioniert zu Bücher-Bring- und -Holstationen. Da entdeckte ich so manchen «Schunken», schnell querlesen und ins Büchergestell damit für später, wenn ich einmal Zeit habe. So sammelte sich ein beträchtliches Inventar an mit Themen über Gott und die Welt und das Dahinter. Wohin damit beim Räumen? Brockenhausbetreiberinnen haben nur ein müdes Lächeln übrig: «Wir bedauern, ist nicht mehr gefragt. Sind alle Gestelle voll und niemand liest noch Bücher. Bei allen Fragen wird gegoogelt.»

Kochbücher, Pflanzen- und Gartenratgeber, Gesellschaftskritisches, Sprachen, Lexika usw. Wer will? In einer Zeitung steht unter Tricks zum Zügeln: Bücher, CDs, Videos und DVDs soll man entsorgen im digitalen Zeitalter. Bücher seien etwas für Gruftis!

Jetzt wird aussortiert nach dem Motto: «Weg damit, überholt, noch interessant, entsorgen, mitnehmen.» Zum Zügeln habe ich einen Kniff herausgefunden. Die Koffer, sind jetzt alle gefüllt mit Büchern. Beim Rollen sind die Bücher sozusagen weniger schwer. Irgendwann muss ihre Zeit kommen.

Was ist, wenn der Strom ausfällt, das Internet nicht mehr funktioniert? Leise kommt mir der Verdacht, dass die abnehmende Bedeutung der Bücher mit der Hektik und dem Stress unserer Zeit zu tun haben könnte. Wer findet denn noch Zeit, um genüsslich in einem Buch zu lesen?

Trudi Krieg

 


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