Die Weihnachtsoma

Früher, vor noch sieben Jahren,
früher, als wir alle waren,
früher galt – und dies galt bleiern:
Weihnachten gemeinsam feiern!

Heiligabend standen alle
ehrfurchtsvoll und froh beim Stalle,
sangen Lieder, sprachen Texte.
Nichts, was dieses Fest bekleckste.
Oma, Eltern und wir Kinder,
Esel, Ochse, Schafe, Rinder,
Hirten und die Heiligkeit:
alle standen just bereit.

Fürchtet euch − sprach Engel − nicht!
Oma las die Weihnachtsgschicht.
Und es freuten sich im Stalle
Tiere und die Hirten alle ob dem kleinen Jesulein.
Meistens schlief hier Oma ein.

Nach dem feinen Weihnachtsschmaus
packten wir Geschenke aus,
freuten uns, beschert zu werden,
fühlten himmlisch uns auf Erden.
Assen, lachten, machten Krach.
Oma wurde wieder wach
ob der Festerei und sang
gern von süssem Glockenklang.

Tja, dies war vor sieben Jahren,
als wir noch beisammen waren.
Alle, Herzschmerzfrieden habend,
feierten den Heiligabend.

Doch seit Oma nicht mehr ist
gähnt der Weihnachtsabend trist
und die Christbaummelodie
klingt voll Festmelancholie.

Wenn Mama den Christbaum schmückt,
Kugeln, Stern, Lametta zückt
und auch Kerzen nicht vergisst
wird die Oma sehr vermisst.

Drum beschliess am Weihnachtsmorgen
ich, mir eine auszuborgen.
Eine, welche diese Nacht
mit uns feiert, singt und lacht.
Also hol ich, ganz alleine,
eine aus dem Pflegeheime.
Eine aus der Eingangshalle,
denn da sitzen sie heut alle
je mit Rollstuhl. Still und lauschen.
Ich fass eine – und wir rauschen
heim, wo wir den Abend feiern,
Lieder singen, Verse leiern…

Die geborgte Oma spricht
zwar den ganzen Abend nicht.
Doch sie sitzt mit grossen, feuchten
Augen da – und schenkt uns Glück.
Später schieb im Sternenleuchten
ich die Oma froh zurück.

All die Omas, die wir bräuchten
sitzen irgendwo auf Erden.
Warten, dass wir Skrupel scheuchten 
und darauf, geholt zu werden!

Christoph Sutter
verse.ch