Der letzte Tanz

  10.10.2024 Kolumnen, Romanshorn, Salmsach, Uttwil

Der letzte Tanz

Im lauen Frühjahr einst geboren,
so hingst du mit den grünen Ohren
beharrlich rum, die ganze Zeit
und machtest dich genüsslich breit.

Du warst, wie viele Hänger sind,
ein unbeschriebnes Blatt im Wind
und wipptest an dem Nahrungsstrang
mal hin, mal her, den Sommer lang.

Doch all dein wilder Sommertanz
befreite dich nie wirklich ganz
aus deiner Zwangsverbundenheit.
Du brauchtest deine Reifezeit.

Erst wenn du jetzt im kühlen Herbst
dich leise-weise selber färbst,
verleihst der Welt du deinen Glanz
und wirst bereit zum letzten Tanz.

Ein Windstoss startet sanft den Traum.
Er löst dich ab von deinem Baum,
von deinem angestammten Sein
und führt dich still ins Weggehn ein.

Es ist ein Tanz, kein Niedergang.
Du freutest dich den Sommer lang
auf diesen kurzen Augenblick:
den letzten Tanz durchs Freiheitsstück.

Und moderst du in Zeitlaufs Sinn
als Laub am Boden nun dahin,
so ruht er stets in dir, der Glanz
von deinem kleinen Farbentanz.

Christoph Sutter
verse.ch


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