Seh- und Denkvermögen sind bekanntlich hilfreiche Kompetenzen. Ist folglich ein Sondervermögen eine besonders hilfreiche Kompetenz? Um diese neue Wortkreation im Sinne des Autors zu verstehen, ist es eher hilfreich, das Denkvermögen pausieren zu lassen. Auch unser Sehvermögen erreicht eher die Sehstärke des Grauen Stars, denn der Wortschöpfer verwandelt vor einem Millionenpublikum die erdrückende Tatsache eines Schuldenbergs mit einem Wort in das Glücksgefühl eines Sondervermögens. Wie der Magier den Hasen aus dem Zylinder zaubert, so wird aus den Sonderschulden ein Sondervermögen. Wow!

Wieso macht er das? Macht er das aus dem Grund, weil sich eine Kröte als «Coci-Frosch» besser schlucken lässt? Offensichtlich. Etwas Negatives positiv zu konnotieren, fühlt sich zwar besser an, ändert aber nichts an der Tatsache an sich. Scheint allerdings eine zielführende Masche zu sein. Sagt vor allem viel aus über das «Vertrauensverhältnis» des Absenders gegenüber dem Empfänger. Im Sinne von: «Lieber Herr Merz, verarschen Sie nie ein Volk zum Scherz, denn es fühlt wie Sie den Schmerz.»

Spannend ist, dass sich die oben genannte Bezeichnung durch oftmalige und unkritische Wiederholung schon schnell eingenistet und durch die mediale Verbreitung etabliert hat. Werden Firmen, welche in finanzielle Schieflage geraten sind, schon bald Sondervermögensanierung betreiben? Ab wann wird Merz die Sondervermögensbremse einführen? Wann wird das «Vater unser» umgeschrieben und es heisst dann: Und vergib uns unser Sondervermögen, wie auch wir vergeben unseren Sondervermögenspartnern …

Und so wird unser Wortkünstler im Nachbarland zum Kanzler gewählt und der Nation vorstehen. Macht doch Hoffnung, nachdem die vorgehende Truppe infolge politischen Knockouts die Vertrauensfrage gestellt hat und sie in die Wüste geschickt wurde.

Man darf auf jeden Fall gespannt sein auf weitere interessante Wortkreationen der neuen Regierung und hoffen, dass es keine gegenseitigen «Sondervermögenszuweisungen» gibt.

Daniel Frischknecht