Gabi Bruder

«Nicht Anfang und nicht Ende» von Plinio Martini, Limmat-Verlag

Gori ist im oberen Tessin aufgewachsen. Dort, wo es früher im Winter bitterkalt war und wo er im Sommer auf der Alp Ziegen gehütet hat. Nein − keine Heidi-Heimat-Geschichte mit Happy End. Ein einfühlsamer Roman über die harte Wirklichkeit vor rund hundert Jahren. Sehr arm, sahen viele junge Männer keine Zukunft in diesen Tessiner Tälern.

«‹Früher waren wir arm, aber wir hatten wenigstens unser schönes Wasser.› So kehrte er nach Amerika zurück. Der Richter zürnte Amerika, weil es unser Tal entvölkert hatte. Aus Italien, aus Holland, ja sogar aus Australien sind unsere Leute stehts zurückgekommen, zumindest die, die noch am Leben waren. An Kalifornien hingegen hat das obere Valmaggia seit dem Jahr 1850 siebzig Prozent seiner Einwohner verloren, und das Gleiche gilt für andere Täler.»

Gori hatte sich vor seiner Abreise in Maddalena verliebt, liess sie zurück und fand sie nicht wieder, als er nach Hause zurückkehrte. In Amerika hat er Kühe gemolken, Mist geführt, ertrank in seinen Heimwehgefühlen.

Diese harte Wirklichkeit wird eindrücklich beschrieben, sodass man sich gut ein Bild machen kann, wenn man heute diese schöne Gegend im Tessin besucht und die romantische Landschaft bestaunt.

Mich beeindruckt diese Geschichte, auch weil ich einen persönlichen Bezug habe. Die Eltern meines «Onkels» Bill aus Kalifornien sind um 1900 hintereinander, allein von Sonogno, dem hintersten Dorf im Verzascatal, ausgewandert; hatten sich zuerst als Landarbeiter verdingt und gründeten dann eine eigene Ranch. Bill – dort aufgewachsen − spricht Tessiner-Dialekt und war letztes Jahr wieder hier bei uns zu Besuch! Seine Gelassenheit liess ihn mit 99 Jahren getrost in ein Flugzeug steigen.

Seine Eltern sind damals in den Übersee-Dampfer eingestiegen, ohne zu wissen, was sie dort erwartet.

So, wie Gori in diesem Buch.