Der Fachkräftemangel im MINT-Bereich ist in der Schweiz eklatant, Frauen sind im technisch mathematischen Bereich kaum vertreten. Das Heureka-Förderprogramm der Kanti Romanshorn leistet im Kanton Thurgau seit einem Jahr einen Beitrag zur MINT-Talentförderung auf der Primar- und Sekundarstufe. Eine Zwischenbilanz.

Mittwochnachmittag im Chemie-Labor der Kantonsschule Romanshorn. Als Einstieg ins Thema präsentiert Chemielehrer Marcel Amberg mit dem Blue-Bottle-Experiment einen Klassiker der Chemie: In einem geschlossenen Gefäss befindet sich eine farblose Flüssigkeit, die sich blau färbt, sobald man das Gefäss schüttelt. Nach kurzer Zeit verschwindet die Farbe wieder. Ein magischer Effekt, der die Kinder staunen lässt.

Hypothesen aufstellen und überprüfen
Auf der Suche nach Erklärungen kommen einzelne Kinder auf die Idee, dass es an der Luft liegen könnte, die beim Schütteln mit der Flüssigkeit gemischt wird. Die Vermutung wird sofort überprüft, indem die Luft durch ein anderes Gas (Argon) ersetzt wird. Und tatsächlich: Die Flüssigkeit bleibt beim Schütteln farblos. Erst, wenn wieder Sauerstoff eingefüllt wird, funktioniert der Zaubereffekt erneut. Heureka! «Am Blue-Bottle-Experiment lässt sich wunderbar aufzeigen, wie Wissenschaft funktioniert, wie Vermutungen (Hypothesen) aufgestellt und überprüft werden können», sagt Marcel Amberg.

Förderprogramm im MINT- und IT-Bereich
Jeden Mittwoch-und Donnerstagnachmittag finden an der Kanti Romanshorn in den Fachgebieten Chemie/Biologie und Informatik/Elektronik kostenlose Heureka-Kurse statt. «Das Projekt ist ein mehrsemestriges Förderprogramm im MINT- und IT-Bereich für besonders begabte und engagierte Schülerinnen und Schüler der vierten und fünften Klasse», sagt Rektor Stefan Schneider, der das Projekt vor einem Jahr ins Leben gerufen hat: «Hier können Kinder in einem inspirierenden Expertenumfeld in die Welt der Naturwissenschaften eintauchen, Naturphänomenen auf den Grund gehen und eigene Experimente durchführen.»

Startrampe für die Berufs- und Studienwahl
Der Kurs startet mit einem Orientierungssemester, währenddessen die Kinder in die einzelnen Fachbereiche eingeführt werden. Anschliessend entscheiden sich die Kinder für einen Fachbereich, den sie als mehrsemestrige Vertiefungsphase besuchen können. Der Unterricht in der Vertiefungsphase findet nicht mehr an einem freien Mittwochnachmittag, sondern während der Schulzeit statt. «Die Erfahrungen ausserhalb des regulären Unterrichts mit Fachexperten aus verschiedensten Wissensgebieten sollen für die Schülerinnen und Schüler zur Startrampe für die eigene Berufs- und Studienwahl werden», sagt Stefan Schneider.

Ein grosses Privileg
Eine Umfrage bei Kindern und Eltern zeigt, wie gut das neue Angebot ankommt. Emilie liebt es, Stoffe zu mischen; Moreno interessiert sich vor allem fürs Programmieren; Livio baut in seiner Freizeit neue technische Programme; und Lars freut sich, wenn es in der Chemie knallt, raucht und stinkt. «Im normalen Schulunterricht ist unsere Tochter nicht voll ausgelastet», sagen die Eltern von Liv. Sie schätzen es deshalb, dass sie sich regelmässig mit Gleichgesinnten austauschen kann. Auch die Eltern von Ayleen sind begeistert und sehen das Angebot als grosses Privileg für die Kinder.

Strahlende Kinderaugen
Zurzeit besuchen 23 Kinder (17 Knaben, 6 Mädchen) die Heureka-Kurse, 12 das Orientierungssemester und 11 die Vertiefungsphase, «Heureka» scheint offensichtlich einem Bedürfnis zu entsprechen. «Die positiven Rückmeldungen der Eltern und die strahlenden Kinderaugen treiben uns an, in Heureka zu investieren», sagt Stefan Schneider. Die regionale Version der kantonalen Begabungs- und Begabtenförderung (BBF), die durch die Mittel- und Berufsschulen angeboten wird, scheint die Lücke zwischen der lokalen BBF, die in den Schulen selbst stattfindet, und der kantonalen BBF, die im ganzen Kanton verteilt ist, zu schliessen. Im «Vollausbau» sollen weitere kantonale Standorte (Frauenfeld, Kreuzlingen, Weinfelden) hinzukommen.

Mark Riklin