Neu von Sünde reflektieren und reden

  11.06.2024 Kirchen, Romanshorn

Die Frage und das Thema beschäftigen (hoffentlich) noch heute: Ist es sinnvoll, heute «nicht mehr von der Sünde zu reden» oder zielführender, «von der Sünde neu zu reden»? Theologe, Kirchenratspräsidentin, tecum-Leiter und Gemeindeleiterin debattierten in Romanshorn in der Reihe «brennende Fragen – damals und heute».

Für den Theologen Thorsten Dietz ist es klar: «Mit dem Konzept Sünde ist gesündigt worden. Und das bedeutet aus meiner Sicht, dass damit die Gottesebenbildlichkeit des Menschen in den Hintergrund gerückt, der Mensch schlechtgeredet worden ist. Es gilt, die kirchliche Selbstüberschätzung aufzuarbeiten.»

Im Positivschluss
«Ich glaube, dass sich die Kirche(n) spätestens seit der Aufklärung vom negativen Menschenbild im Zusammenhang mit der Erbsündenlehre (der Zurechnung von fremder Schuld) verabschiedet haben. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass alle Menschen sündigen. Alle Menschen sind gefährdet zu ‹fallen› und sind gleichzeitig talentierte und positive Lebewesen. Damit befinden wir uns in der Ambivalenz von Verhängnis und Verantwortung, in einer Balance von Schuld und Schicksal», so der Referent.

Mit neuen Inhalten
Wenn heute und weiterhin von «Sünde» geredet werden will, brauche es eine neue Phänomenologie, neue Inhalte: Stichworte dazu seien etwa Beziehungsstörung, Lieblosigkeit, Vertrauensverlust oder auch persönliche Zielverfehlung: «Wenn wir also neu über diesen Begriff reflektieren und zu reden versuchen, braucht es neue Wörter für die gute Botschaft des christlichen Glaubens, will heissen, dass Gott die Menschen damit befreien will auf dem Weg der Verantwortlichkeit.»

Das ist herausfordernd
Eingeladen zur nachfolgenden «ökumenischen Debatte» waren Christina Aus der Au, Kirchenratspräsidentin der Evangelischen Landeskirche Thurgau, Anne Zorell Gross, Gemeindeleiterin der Katholischen Kirchengemeinde Romanshorn. Moderiert wurde die Gesprächsrunde von Thomas Bachofner, tecum-Leiter, Ittingen: «Das Thema ist ambivalent und herausfordernd (Zorell), und es ist wichtig darüber einfach zu reden (Aus der Au).» Beeinflusst haben dabei sowohl Elternhaus und Jugendzeit als auch das Studium. Und heute «sehe ich mich als Sünderin verkrümmt in mir, also als Mensch, der so nicht mehr den Blick für andere Menschen und Lebewesen haben kann. In Bezug auf grosse Lebensbezüge stellt sich immer wieder die Frage, wie wir uns in der Welt bewegen. Sünde heisst so verstanden, getrennt sein von Gott und entfremdet gegenüber dem Leben», sagte Christina Aus der Au. 

Das Befreiende verständlich machen
Dietz nahm in diesem Zusammenhang die Bemerkung eines Besuchers auf und meinte: «Jesus war darum sündlos, weil er sich immun zeigte und sich nicht vom Bösen anstecken liess.» «Und diese Menschwerdung von Jesus ist und war auch die Hoffnung auf die Zukunft, die er ermöglicht, weil ich ihm die Sorge um mein Selbst übergeben kann», so Anne Zorell.

Und alle waren sich einig, dass es gerade heue entscheidend ist, die «befreiende Botschaft» verständlich für die Welt zu erzählen. Und weil mit dem Erzählen von Jesus und Gott immer Bilder verbunden sind, bedeute es, diese Bilder gross zu machen, denn er ist Beziehung und bleibt Geheimnis, ist ganz nah und bleibt ganz anders und ist darum viel mehr «Film als Bild».

Markus Bösch


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